Beschreibung Titelbild: Ein Nest aus leeren Schneckenhäusern mit dem Besitzer („Riese“, rechts), einem Weibchen, das gerade in ein Schneckenhaus eindringt (Mitte), und einem parasitischen Winzling („Zwerg“, ganz links). Die gestreiften Fische im Vordergrund sind Eiräuber. (Foto: Sabine Wirtz-Ocana)
Warum es große und winzige Männchen bei Schneckenbuntbarschen gibt
Text: OLIVER MENGEDOHT
Bei in leeren Schneckenhäusern brütenden Buntbarschen gibt es zwei verschieden große Männchentypen: winzige und riesige. Forschende haben jetzt herausgefunden, wie die Größen im Zusammenhang mit dem Geschlecht der Fische genetisch festgelegt werden.
Unterschiedliche Körpergrößen zwischen Männchen und Weibchen sind ein weit verbreitetes Phänomen im Tierreich. Ein extremes Beispiel hierfür ist der Schneckenhaus-brütende Buntbarsch Lamprologus callipterus aus dem Tanganjikasee, bei dem die Männchen bis zu zwölfmal größer und schwerer werden als die Weibchen. Dies ist sinnvoll, weil die großen Männchen leere Schneckenhäuser zu Nestern anhäufen, in denen die kleinen Weibchen Schutz finden und ihre Brut aufziehen.
Das Besondere bei dieser Art ist jedoch ein zweiter Männchentyp, der sich aufgrund von extremem Zwergwuchs in die Schneckenhäuser der Riesen einschleichen kann, um die Eier der Weibchen zu befruchten. Die kleinen Buntbarschmännchen haben damit eine alternative Strategie entwickelt, um als ungebetene Gäste des Revierbesitzers erfolgreich Nachwuchs zu erzeugen.
Einzigartiges Reproduktionssystem
Bisher war bekannt, dass aus Zwergmännchen nur kleine Männchen hervorgehen
und aus Riesen nur große, während die von beiden Typen erzeugten Weibchen etwa gleich groß sind. Die Männchengröße wird also vom jeweiligen Vater geschlechtsspezifisch weitergegeben.
Pooja Singh, Michael Taborsky und Catherine Peichel von der Universität Bern und Christian Sturmbauer von der Universität Graz fanden heraus, wie Größen und Geschlecht bei den Buntbarschen festgelegt werden. Für die Studie analysierte das Team die Genome von männlichen und weiblichen Buntbarschen von L. callipterus, um dem genetischen Mechanismus und Evolutionsweg zu deren einzigartigem Reproduktionssystem auf die Spur zu kommen.
Sie konnten nun aufklären, wie es kommt, dass beide Typen ihre jeweilige Körpergröße an die nächste Männchengeneration vererben, ohne jene der weiblichen Nachkommen zu beeinflussen. „Dafür mussten wir erst die geschlechtsbestimmenden Regionen im Genom dieser Art identifizieren, weil diesen Buntbarschen gut unterscheidbare Geschlechtschromosomen fehlen, wie sie etwa der Mensch hat“, erklärt Erstautorin Singh.
Die Forscher fanden eine sehr kleine, Y-Chromoson-artige Region, die zwischen den Geschlechtern verschieden ist. „Obwohl die Riesen und Zwerge den gleichen Männlichkeitsfaktor haben, unterscheidet sich diese Region im Detail: Als wir in die Region hineinzoomten, fanden wir dort das Schalter-Gen GHRHR, das schon von Säugetieren her bekannt ist“, so Co-Autorin Peichel. Das diene als Wachstumshormon-Regulator – „und Mutationen davon führen auch beim Menschen und anderen Säugern zu Zwergenwuchs.“
Da dieses Zwergen-Gen nun auch bei Fischen nachgewiesen ist, muss es laut dem Forschungsteam mehr als 440 Millionen Jahre alt sein und damit vor die Eroberung des Festlandes durch die Landwirbeltiere zurückreichen. Ein altes Größen-Gen verknüpfte sich im Fall der Buntbarsche also mit einem neu entstehenden Geschlechtschromosom.
Dr. Pooja Singh vom Institut für Ökologie und Evolution der Universität Bern analysierte Buntbarschgenome. (Foto: zvg)
Professorin Dr. Catherine Peichel von der Schweizer Uni Bern ist die Co-Autorin des Papers über Lamprologus-Wachstum. (Foto: zvg)
Professor em. Dr. Michael Taborsky tippt, dass die Riesen evolutionär vor den Zwergen da waren.
Wer kam zuerst?
Die Resultate zeigen, dass ein sexueller Konflikt bezüglich der für die Fortpflanzung wichtigen Körpergröße die Entwicklung eines Geschlechtschromosoms begleitet.
Die Frage ist, welcher der beiden Männchentypen zuerst da war: „Wir vermuten, dass es die Riesen waren, da ja das ganze Reproduktionssystem auf der Fähigkeit des Nestbaus durch die Sammlung und Anhäufung leerer Schneckenhäuser – und deren Verteidigung – basiert“, sagt Co-Autor Michael Taborsky. Die Zwerge hätten dann durch eine punktuelle Mutation des Schalter-Gens entstehen und sich durch ihre parasitische Fortpflanzungstaktik erfolgreich etablieren können.