Wissenschaftler finden verschollen geglaubte Leopardbarbe
Text: OLIVER MENGEDOHT
Fotos: METIN YOKSU
Ein Team von Ichthyologen in der Türkei hat die Leopardbarbe (Luciobarbus subquincunciatus) im türkischen Teil des Tigris wiederentdeckt. Der karpfenähnliche, gefleckte Fisch wurde zuletzt 2011 wissenschaftlich dokumentiert und ist der zweite Fisch auf der Liste der Naturschutzinitiative Shoal der am meisten gesuchten Fische, der gefunden wurde. Die erste Art, die Batman-Schmerle, wurde Ende 2021 von demselben unerschrockenen Team im Südosten der Türkei gefunden (siehe aquaristik 2-2022).
„Es gibt nichts Schöneres als das Gefühl, dass eine Art, die an den Rand des Aussterbens gedrängt wurde, trotz aller Widrigkeiten immer noch überlebt“, freute sich Cüneyt Kaya, außerordentlicher Professor an der Recep-Tayyip-Erdogan-Universität und Mitglied des Expeditionsteams. „Es ist sogar noch aufregender als die Entdeckung einer neuen Art, denn es bedeutet, dass wir einer seltenen Art eine zweite Chance geben können.“ Sowohl bei der Batman-Schmerle als auch bei der Leopardbarbe gebe es jetzt die Pflicht für Forschung, Politik und Gesellschaft , Schutzbemühungen zu mobilisieren, um sicherzustellen, dass keine der beiden Arten wieder verloren geht.
Ein türkischer Fischer fand die zwei Tiere im Tigris.
Die Leopardbarbe war einst weit verbreitet und kam in der Osttürkei, in Ostsyrien, im Iran und im Irak im Flusssystem von Tigris und Euphrat vor. In den letzten drei Jahrzehnten haben Fischerei, Verschmutzung, Lebensraumzerstörung und der Bau von Staudämmen die Art jedoch an den Rand des Aussterbens gebracht.
Elf Stunden durch die Nacht
Cüneyt Kaya und Assistenzprofessor Münevver Oral baten die örtlichen Fischer um Hilfe und arbeiteten mit der örtlichen Abteilung für Fischerei und Aquakultur zusammen. Kurz nach zwei Expeditionen erhielten die beiden den erhofften Videoanruf eines örtlichen Fischers: Mehmet Ülkü hatte in Cizre einen 50 Zentimeter langen und zwei Kilogramm schweren Fisch mit auffälligen schwarzen Flecken und dem verräterischen fleischigen Faden gefangen, der aus dem Maul dieser Art von Süßwasserfischen baumelt.
Ülkü hielt den Fisch über Nacht in einem Tank mit konstanter Sauerstoff zufuhr am Leben, während Kaya einen Direktflug nach Van City nahm und dann fast sechs Stunden nach Cizre fuhr. Oral fuhr mehr als elf Stunden durch die Nacht, um den Fisch zu sehen. Als sie ankamen, hatte Ülkü bereits eine zweite Leopardbarbe sicher in seinen Netzen gefangen.
Forscher und Fischer haben zusammengearbeitet und im Südosten der Türkei eine verloren geglaubte Art gefunden.
„Wir haben alles stehen und liegen gelassen und wären bis ans Ende der Welt gefahren, um diesen Fisch, diese Legende, lebend in freier Wildbahn zu sehen“, erklärte der Ichthyiologe Oral begeistert. „Ich habe noch nie einen so schönen Fisch gesehen. Es war nicht nur die Verwirklichung unseres Traums, diese verlorene Art zu finden, sondern auch die Hoffnung, dass noch nicht alles verloren ist – wir haben immer noch eine Chance, die Leopardbarbe und all die anderen unglaublichen Süßwasserarten zu schützen, mit denen sie ihre Heimat teilt.“
Nachdem Kaya und Oral Fotos gemacht und die Größe und Form der beiden Fische vermessen hatten, wurden sie wieder freigelassen. „Ich bin stolz darauf, dass ich mit meinen Fähigkeiten zur Wiederentdeckung der Leopardbarbe beitragen konnte“, so Ülkü. Um diese Art auch in Zukunft zu schützen, müssten aber auch andere Fischer aufgeklärt und weiterhin wissenschaftliche Erkenntnisse und lokales Fachwissen zusammengebracht werden. Die Forscher planen daher eine Reihe von Seminaren für Fischer und Lehrer, um Begeisterung für die Flussläufe und ihre Tierwelt zu wecken.
Einst war die Leopardbarbe weit verbreitet im Nahen Osten.
Unglaubliches leisten
Im November 2023 veröffentlichte die Weltnaturschutzbehörde IUCN (International Union of Conservation of Nature) eine aktualisierte Bewertung von Süßwasserfischen auf der ganzen Welt und kam zu dem Ergebnis, dass 45 % aller gefährdeten Süßwasserfische durch Dämme und Wasserentnahme vom Aussterben bedroht sind. Die Leopardbarbe ist nicht nur von mehreren Staudämmen betroffen, die im türkischen Teil des Tigris gebaut wurden, sondern auch von einem neuen Staudamm, der in Cizre gebaut wird, ganz in der Nähe des Fundortes der beiden Leopardbarben.
Zwei Exemplare wurden kurze Zeit zur Vermessung und Dokumentierung eingefangen.
Liste der IUCN, dass 25 % der Süßwasserfische vom Aussterben bedroht sind, verdeutlicht die dringende Notwendigkeit einer wirksamen Schutzarbeit“, betonte Mike Baltzer, geschäftsführender Direktor von Shoal. Shoal ist ein Programm der Naturschutzorganisationen Re:wild und Synchronicity Earth. Das Team sei begeistert, dass Münevver und Cüneyt die Initiative ergriffen und sich der Suche nach einem zweiten verlorenen Fisch verschrieben haben. „Positive Nachrichten wie diese sind in der Welt des Naturschutzes selten und können Unglaubliches leisten, um neue Zielgruppen für den Naturschutz zu begeistern.“
Hier schwimmt die Leopardbarbe wieder in ihre Freiheit.
Die „Suche nach verlorenen Arten“ hat Shoal im Jahr 2021 ins Leben gerufen, um Einzelpersonen und Organisationen zu ermutigen, nach Süßwasserfischarten zu suchen, die seit mindestens zehn Jahren nicht mehr wissenschaftlich dokumentiert wurden, damit Maßnahmen zu ihrer Rettung durchgeführt werden können. In Zusammenarbeit mit Re:wild und der Spezialistengruppe für Süßwasserfische der IUCN hat Shoal eine Liste von mehr als 300 Fischarten zusammengestellt, die derzeit als verloren gelten.