Der Großhändler Herbert Nigl berichtet von seinen Nachzuchtprojekten
Text & Fotos: OLIVER MENGEDOHT
„Bis Du weißt, wie es geht, ist es ein Riesenaufwand: Neun von zehn Versuchen sind ein Schuss in die Luft .“ Herbert Nigl verdeutlicht, wie schwierig die Nachzucht von Fisch- oder Wirbellosenarten wirklich sein kann, vor allem auf einem kommerziellen Niveau. Amanogarnelen nachzuzüchten ist beispielsweise gar nicht allzu schwer. Aber eine Methode zu finden, dass es sich auch wirtschaftlich noch lohnt, also mit genügend Stückzahlen bei akzeptablem Arbeitsaufwand, ist schon eine andere Geschichte.
Herbert hat sich schon immer bemüht, auch ungewöhnlichere Arten anzubieten, wie diese Fluss-Schwimmkrabbe (Varuna litterata).
Herberts Großhandel Aquarium Dietzenbach in Hessen ist kein ganz normaler Großhandel. „Wir sind immer bemüht, einige außergewöhnliche Tiere anzubieten“, erklärt der Inhaber. Seit 1985 importiert er Fische und Wirbellose aus 16 Ländern. Das Unternehmen, versichert er, sei aber nicht ausschließlich wirtschaftlich orientiert, „sondern bei uns werden Aquaristik und Terraristik auch gelebt“.
Keine leeren Worte, wie man eben auch an seinem Engagement für mehr Vielfalt im Handel sieht. Immer mehr Geschäfte und Ketten konzentrieren sich auf ein Standardsortiment von nur 300 bis 400 Arten, die Aquaristik verarmt dadurch. Vivaristik lebt davon, dass es auch immer mal etwas Neues gibt, dass Biologiebegeisterte auch bei bislang unbekannten Spezies versuchen herauszufinden, wie sich diese gut halten und vermehren lassen. Nur dann entsteht neues Wissen. Davon abgesehen können sich einzelne Händler durch ein breiteres Angebot an Arten auch vom Wettbewerb abgrenzen.
Über 200.000 Liter umfassen die Becken in den Zucht- und Haltungsanlagen.
An den Geheimnissen des Goldttüpfel-Schlangenkopffischs aus Indien wird noch getüftelt.
Und damit sind wir wieder bei der Nachzucht: Auch Herbert packt immer wieder der Ehrgeiz, eine Art nachzuziehen, von der bisher nicht bekannt ist, wie das überhaupt – oder eben wirtschaftlich – möglich ist. Schließlich ist er selber ja Aquarianer von Kindesbeinen an. „Mit 10 oder 11 Jahren habe ich mein erstes Aquarium gehabt, und als ich mit 15 die Ausbildung begonnen habe, stand schon das ganze Zimmer voll.“ Es gab noch keine Computer und Internet: „Als ich ein Bub war, musste man schon alle paar Wochen alle Händler im Umkreis abfahren, ob es etwas Neues gab“, erinnert sich der gelernte Tierpfleger zurück.
Ein Mandarinfisch 40 Stunden nach dem Schlupf. (Foto: Herbert Nigl)
Die Lehre machte er übrigens beim Chemie riesen Hoechst AG. Da wurden Kaltwasserfische und Posthornschnecken gehalten sowie Mehlwürmer, Heimchen und Fliegen für Tests zu Wasser- und Pflanzenschutz. Trotz der besseren Bezahlung bei Hoechst wechselte Herbert nach der Ausbildung aber zum Zoofachhändler – „es muss ja auch Spaß machen“.
Die Zucht des Rotschwanz-Kammkugelfischs ist schon nicht mehr ganz so leicht zu bewerkstelligen.
Heute ist Herbert Nigl Herr über 2.000 Becken in den beiden Verkaufsan lagen, der Kaltwasserabteilung und der Zuchtstation mit insgesamt über 200.000 l Wasser. Neben Fischen sind heute Wirbellose eine tragende Säule seines Großhandels, vor allem Süßwasser-Zwerggarnelen mit ihren vielen Farbvarianten. Mit ihnen beliefert er Zoohändler in ganz Europa.
Verschiedene Arten von Algenkulturen.
verschiedene Stadien
Informationen über Vermehrung will der 61-Jährige auch an Interessierte vermitteln. „Die Zucht von Tieren ist die Krönung der Tierhaltung und eines der schönsten Hobbys, was es gibt.“ Wenn es gelinge, die Tiere, die man liebt und pflegt, soweit zu bringen, dass sie sich vermehren, sei das ein ganz besonderes Erlebnis. Dabei sei es gleich, ob es sich um eine „gewöhnliche“ oder „besondere“ Art handele, denn „alle Tiere sind es wert, sie so zu pflegen, dass sie sich wohlfühlen und vermehren wollen“.
Seit 1985 betreibt der Hesse seinen Großhandel in Dietzenbach.
Herbert will gerne zeigen, wie faszinierend es sein kann, zu beobachten, wie Leben entsteht. „Es gibt immer wieder Herausforderungen, bei welchen man ein wirkliches Erfolgserlebnis spüren kann, wenn es einem gelungen ist, eine Art erfolgreich zu vermehren.“ Auf seiner Homepage zeigt er Bilder und Infos, damit jeder das „live in seinem Hobbyraum mit einfachen Mitteln nachvollziehen kann“. Dazu gehören Wimpelsturiosoma (Sturisomatichthys festivum), Kuckucks-Fiederbartwels (Synodontis multipunctata), Prachtschmerle (Chromobotia macracanthus) oder Njassa-Fiederbartwels (Synodontis cf. nigrita), aber auch Leopardgeckos (Eublepharis macularius) und Glattstirnkaimane (Paleosuchus palpebrosus), Tropischer Krallenfrosch (Silurana tropicalis), Zagrosmolch (Neurergus kaiseri) und Cranwelli-Schmuckhornfrosch (Ceratophrys cranwelli).
Eine Zygote ist eine befruchtete Nach ca. einer Stunde teilt sich die
Eizelle, deren Zellkern mit dem Kern Eizelle zum ersten Mal.
eines Spermiums verschmolzen ist.
Die Eizelle durchläuft ihre zweite Hier besteht der Zellhaufen bereits
Teilung und hat in diesem Bild das aus mehreren tausend Zellen.
Vierzellstadium abgeschlossen.
Anlagen für Rückenmark, Gehirn, Augen Der Fischschwanz ist jetzt deutlich
und innere Organe werden gebildet. zu erkennen und hebt sich vom Dotter ab.
11 Stunden nach dem Schlupf sind die 64 Stunden nach dem Schlupf sind die
Augen des Embryos in Form zweier Barteln schon gut identifizierbar.
schwarzer Punkte am Kopf deutlich zu (Fotos: Herbert Nigl)
erkennen.
Neben dem reinen Züchterehrgeiz war es so, dass „wir nicht immer alles so bekommen haben, wie wir es uns vorgestellt haben“, erzählt Herbert. Manche Tiere gab es nur einmal, andere nur zu bestimmten Zeiten in geringen Mengen und manchmal auch nur Männchen. „Mit der Modernisierung unserer Anlage war es möglich, die für unsere Kunden benötigte Menge problemlos auf kleinem Raum zu halten, und wir starteten im Jahr 2008 mit der eigenen Zucht und «übten» erst einmal mit einfachen Arten.“
Ein Blauer Zwergkaiserfisch (Centropyge argi) im Moment des Schlupfes fotografiert.
Eine Larve der Azur-Demoiselle (Chrysiptera hemicyanea) am fünft en Tag nach dem Schlupf.
Der Blaue Zwergkaiserfi sch ist am 17. Tag, nachdem er sich aus der Eihülle befreit hat, immer noch eine Fischlarve.
Auch Cichliden aus Afrika vermehrte der Hesse eine Zeitlang selber, aber bei neun Monaten bis zur Ausfärbung sei das eher eine Nullsummenrechnung gewesen und habe sich nicht gelohnt. Seit einigen Jahren schon läuft hingegen die eigene Zucht des Kongo-Leopardkugelfischs (Tetraodon schoutedeni).
Aktuell tüftelt der Naturbegeisterte am Rotschwanz-Kammkugelfisch (Carinotetraodon irrubesco) von der Insel Borneo, aber da gibt es noch ein, zwei Geheimnisse zu enträtseln. Der Goldtüpfel-Schlangenkopffisch (Channa aurantimaculata) aus Indien ist eher ein Nebenprojekt, rein des Hobbys wegen. Bei Wirbellosen etwa laufen der der Blaue Floridakrebs (Procambarus alleni), Volcano Yabby (Cherax destructor var. „Volcano“) oder farbige Amanogarnelen (Caridina multidentata). „Das alles braucht viel Platz und die richtigen Algen.“
Die Zucht von Kongo-Leopardkugelfischen läuft bei Herbert Nigl schon seit einigen Jahren problemlos.
Algen sind das Stichwort für einige Arten im Seewasser. Hawaii-Zwergkaiserfische (Centropyge fisheri) etwa oder Grundeln, deren Larven teilweise in einem bestimmten Alter ganz bestimmte Ruderfußkrebse (Copepoden) benötigen, die kleiner als 50 Mikrometer sind. Diese wiederum sind zwingend auf eine ausreichende Anzahl an Mikroalgen angewiesen, und so müssen immer ganz bestimmte Kombinationen von Algen und Copepoden verfügbar sein, sonst mangelt es an Nährstoffen und die Fischlarven schaffen einen Entwicklungssprung nicht.
So ist manchmal jeder kleine Fortschritt ein großer Erfolg. Aber bis es soweit ist, fließt mancher Tropfen Schweiß. „Ich habe alle Komponenten beisammen, aber irgendeine Kleinigkeit ist nicht genau auf den Punkt, zum Beispiel haben die Algen nach sieben Tagen ihren Peak und dann kippt der Ansatz wegen Bakterien.“ Anders gehe es aber nicht, erklärt Herbert: „Du musst es selber herausfinden, das verrät Dir keiner.“
Am Mikroskop können Parasiten und Bakterien identifiziert werden, Fotos helfen bei einer späteren Behandlung.
Er habe es auch bei einer Grundel hinbekommen, aber man müsse bei jeder Art testen, wann genau welches Futter benötigt werde und auch „das Futter“ muss entsprechend mitwachsen. „Die Copepoden sind beispielsweise nach zwölf Tagen zu klein und ich brauche größere, ich muss also mehrere Zuchtansätze der Krebstierchen in verschiedenen Stadien gleichzeitig am Laufen haben, weil sie langsamer wachsen als die Fischlarven.“ Das sei der Knackpunkt, damit die Nachzucht in jedem Ansatz funktioniere: Man muss wissen, welche Algen- und Copepodenkulturen wann und in den richtigen Größen verfügbar sind. „Das kostet rund 80 Prozent der Zeit, die Pflege der Fischlarven erfordert nur etwa 20 Prozent.“ Dazu brauche es neben der Zeit für die Versuche viel Platz und genaue Protokollführung. „Zu warm, zu wenig Licht, nicht genug Strömung, nicht der richtige Nährwert – es gibt viele Faktoren.“
Rund 2.000 Becken stehen n Herberts Hallen in Dietzenbach.
Eine Sensation
Wenn es aber klappt, „dann bist Du der King“, sagt Herbert lachend. Noch im Jahr 2000 seien die ersten Meerwasser-Nachzuchten eine Sensation gewesen, „inzwischen knacken die nach und nach jede Art“. Die letzte Verwandlung der Larve muss geschafft werden, dann sind Junggarnele oder -fisch meist stabil. Anschließend benötigt es aber noch einige Monate Aufzucht mit viel Platzbedarf, Futter und Energie für Licht und Wärme, bis die Tiere auch verkaufsfertig sind.
So sieht der Juwelen-Fahnenbarsch (Pseudanthias squamipinnis) 30 Tage nach dem Schlüpfen aus.
Er testet nun allerhand Arten durch, die kleine Larven haben und sehr kleine Nahrung benötigen, „was nicht jeder in seinem Keller machen kann“. Wurdemanns Garnele (Lysmata wurdemanni), Kardinals- Putzergarnele (L. debelius), Australische Putzergarnele (L. vittata), Mittelmeer-Putzergarnele (L. seticaudata), Tanzgarnele (Rhynchocinetes durbanensis) und Hohlkreuzgarnele (auch „Sexy Shrimp“; Thor amboinensis) hat er ab und zu nachgezogen. Der Fokus liegt aber jetzt auf den anspruchsvolleren Seefischarten wie Fahnenbarschen, Demoisellen und Leierfischen. Langweilig werden wird es Herbert so schnell nicht.